In den Projektbeirat zur sogenannten Parkstadt Mülheim wurden neben der Politik und den Interessenvertretern der Bürger auch zwei angesehene Architekten aus Mülheim als sachverständige Teilnehmer eingeladen.

Nach den  Meldungen rund um die wirtschaftliche Lage des Investors in der Presse und den drängenden Fragen zu den Planungsvereinbarungen von Seiten des “widerspenstigen” Netzwerks haben nun diese Architekten stellvertretend für ihre Berufsverbände in einem Brief an die Mülheimer Politik öffentlich ihre Bedenken angemeldet.

Zusammenfassung
Die Architekten und fachbezogenen Beisitzer des Beirates für das Projekt “Parkstadt Mülheim” richten sich in einem offenen Brief an die Fraktionen im Rat der Stadt Mülheim an der Ruhr.
Sie äußern ihre Bedenken bezüglich der Durchführung des Entwicklungsprojekts durch einen einzelnen Investor, SORAVIA, unter Verwendung eines einzigen Bebauungsplans.
Die Architekten sehen dies aufgrund ihrer Erfahrung als naiv und wirtschaftlich riskant an. Sie verweisen auf die Notwendigkeit, verschiedene Sicherheitsinstrumente zu nutzen, die das Baugesetzbuch bietet, um das Projekt besser abzusichern.
Die Architekten schlagen vor, das Projekt in Teil-Bebauungsplänen zu realisieren, um flexibler auf zukünftige Bedarfe reagieren zu können und um das Risiko von Bauruinen und finanziellen Problemen zu minimieren.
Sie betonen die Wichtigkeit von Durchführungsverträgen und Bürgschaften, um die Stadt vor möglichen finanziellen Verlusten zu schützen. Abschließend bieten sie ihre Unterstützung und Teilnahme an zukünftigen Diskussionen und Planungsausschüssen an, um zur Lösung der aufgeführten Probleme beizutragen.

An die Fraktionen im Rat der Stadt Mülheim an der Ruhr

CDU, Bündnis 90/ Die Grünen, SPD, FDP, Die Partei, Wir aus Mülheim, Die Linke, Bürgerlicher Aufbruch Mülheim, MBI, AfD

PER EMAIL

Betreff: Entwicklungsprojekt „Parkstadt Mülheim“
Erforderliche Sicherungsinstrumente

Sehr geehrte Damen und Herren,

als Architekten und fachbezogene ständige Beisitzer im Beirat des Projektes Parkstadt Mülheim sehen wir uns aufgrund der aktuellen Entwicklung bzgl. des Investors SORAVIA sowie unserer fachlich beratenden Funktion dazu verpflichtet, ein im Folgenden erläutertes, grundsätzliches strukturelles Problem des Projektes öffentlich und politisch zur Diskussion zu stellen.

Dieses strukturelle Problem liegt unserer fachlich nachfolgend begründeten Ansicht nach in der sicherlich gut gemeinten Absicht, ein mehr als 11 Hektar großes Projekt eines einzigen Investors durch einen einzigen Bebauungsplan im Sinne der Stadt Mülheim sowohl städtebaulich regulierend als auch wirtschaftlich ausreichend absichern zu können.

Dies halten wir aufgrund unserer jahrzehntelangen beruflichen Erfahrung nicht nur für fragwürdig, sondern u.a. auch für geradezu städtebaulich naiv und vor allem wirtschaftlich gefährlich.

Diesbezügliche Bedenken wurden unsererseits im Verlauf der zurückliegenden Beiratssitzungen des Öfteren angesprochen, jedoch seitens der Vertreter des Investors SORAVIA sowie der städtisch beteiligten Vertreter mit Hinweis auf Regelungen in einem noch zu erarbeitenden städtebaulichen Vertrag zum Bebauungsplan stets als unbegründet relativiert.

Die Nachrichten der letzten Wochen und Monate bzgl. der finanziellen Entwicklungen bei zunächst anderen in Deutschland tätigen Investoren, dann auch über SORAVIA, machen nun für alle deutlich, wie schnell der Übergang von Sein zum Schein zur problematischen Realität werden kann. Umso wichtiger ist für alle städtischen Akteure – unabhängig vom Auftreten  möglicher Vertragspartner – ein umsichtiger und verantwortungsbewusster Umgang mit kommunalen Ressourcen. Dies insbesondere, wenn politische Entscheidungen gravierende  räumliche Auswirkungen für die nächsten Jahrzehnte haben werden. Fiktive Steuereinnahmen sind keine Rechtfertigung die gebotene Sorgfaltspflicht außer Acht zu lassen (siehe WAZ 04.03.2024).

Umso mehr ist zwingend geboten bei Entwicklungsvorhaben der Größenordnung Parkstadt Mülheim, alle möglichen Sicherheitsmaßnahmen anzuwenden, die zur Verfügung stehen. Es  stellt sich uns daher aus fachlicher Sicht die berechtigte und bisher unbeantwortete Frage, warum folgende, durch das Baugesetzbuch ausdrücklich vorgesehene Instrumente zur Absicherung des Projektes Parkstadt Mülheim nicht genutzt werden sollen.

  1. Der Investor sieht – wie u.a. im Protokoll zur Beiratssitzung vom 24.01.2023dargestellt – eine abschnittsweise Realisierung bzw. bauliche Umsetzung des Projektes vor. Diese ist im Hinblick auf den Baustellenverkehr und die Baustellenlogistik ohnehin geboten. Die Baurechtschaffung sollte daher ebenfalls in Teil-Bebauungsplänen nacheinander erfolgen. Der auf der Basis der Gutachten sowie der Bürger- und Trägerbeteiligungen weiterhin zu entwickelnde Gesamtplan würde dann in die Funktion eines Rahmenplanes übergehen.
  2. Dieser Rahmenplan hat dann auch den Tengelmann-Bestand sowie die zur Entwicklung und Erschließung des Areals notwendigen Anschlussflächen mit einzubeziehen.
  3. Nach unseren Erfahrungen dauert selbst bei guter immobilienwirtschaftlicher Lage die Umsetzung der gewünschten Bauvolumen und Marktsegmente mindestens 15 bis 20 Jahre. Über eine so lange Realisierungszeit kann ein heute beschlossener Bebauungsplan die Bedarfe und Standards der kommenden Jahrzehnte nicht im Ansatz abbilden und berücksichtigen. Es sei denn, der Bebauungsplan sieht für den Investor über Urbane Gebiete (MU) maximale eigene Spielräume vor.
  4. Diese lassen sich gegenwärtig gutachterlich aber weder fassen noch fachlich begründen, Das MU wurde 2017 neu in die Baunutzungsverordnung als Experimentiergebiet(!) aufgenommen. In den vergangenen sechs Jahren hat noch keine Stadt ein größeres komplett freies Bebauungsareal als urbanes Gebiet (MU) baurechtlich im Bauleitplanverfahren aufgenommen bzw. realisiert. Entsprechend notwendige Analysen und die hierauf abzustellende Bedarfssituationen wurden bis dato von der Verwaltung der Stadt Mülheim nicht schlüssig erbracht. Somit kann und darf wegen der fehlenden Analysen und Bedarfe kein idealisiertes Modell von Nutzungsmischung festgeschrieben werden, die ohne Grundlage eine Ausweisung des Areals als MU- Gebiet darlegt. Die angedachten Zuordnungen als Urbanes Gebiet (MU) in einem einzigen Bebauungsplan sind daher ohnehin abzulehnen. Immerhin bewegen wir uns im Rahmen der Stadtplanung, und nicht in einer Situation die vorsätzlich dem Blindflug bzw. dem Investor überlassen werden soll.
  5. Aber selbst kleinere Bebauungspläne schützen die Stadt über eine Angebotsplanung nicht vor Bauruinen. Die, wie mittlerweile für jeden seit Jahren am Kassenberg sichtbar, auch schon bei Zahlungsunfähigkeit kleinerer Investoren eine zumindest mittelfristig unlösbare und schwierige Problemsituation hinterlassen. Eine Änderung des Baurechtes durch die Stadt Mülheim an der Ruhr wäre ferner u.U. gemäß § 42 BauGB gegenüber dem Investor oder Insolvenzverwalter sogar entschädigungspflichtig. Dies ließe sich im Gegensatz dazu vermeiden, wenn diese Teil-Bebauungspläne als Vorhabenbezogene Bebauungspläne (VBB) entwickelt werden. Dann ließen sich die Vorhaben eindeutig beschreiben und damit überhaupt erst qualitativ bewerten. Sofern eine Umsetzung nicht innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt, kann die Stadt das Baurecht aufheben, ohne dass der Investor Ansprüche gegen die Stadt geltend machen kann (§ 12 Abs. 6 BauGB).
  6. In den zugehörigen Durchführungsverträgen zu Vorhabenbezogenen Bebauungsplänen kann der Rahmen der zulässigen Nutzungen näher und eindeutiger bestimmt werden (§ 12 Abs. 3a BauGB). Die Umsetzung des so definierten Vorhabens ist vertraglich über Bürgschaften abzusichern. Dies gilt insbesondere auch für den Rückbau möglicher Bauruinen (Abrissbürgschaften), um Straßenbildern wie am Kassenberg vorzubeugen. Bildhaft; im Falle des Projektes Parkstadt Mülheim könnten dies bspw. auch zwei oder drei Hochhäuser mit einer Großraum-Tiefgarage im unvollendeten Rohbau sein. Darüber hinaus sind auch Regelungen mit aufzunehmen, die gemäß § 40 BauGB eine nachträgliche Übernahme von aus der Sicht des Investors „unrentierlichen Flächen” verhindern.
  7. Die Entwürfe der jeweiligen Durchführungsverträge sind aufgrund ihrer planungsrelevanten Regelungsinhalte VOR der Offenlage u.a. im Beirat abzustimmen und ZUR Offenlage öffentlich bekanntzugeben.

Wir möchten an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass wir selbstverständlich für eine gute städtebauliche Entwicklung des Tengelmann-Areals sowie der in Rede stehenden Anschlussflächen sind. Genau dies ist der Grund, warum wir diesen kritischen und vor allem dringend notwendigen Weckruf nach zwingend gebotenen Sicherungsinstrumenten gerade jetzt noch mal erneut in die aktuelle Diskussion einbringen. Es ist u.E. deshalb aus fachlicher Sicht auch unabdingbar, einige Details der Planungsprozesse und deren Veranlassungen und Hintergründe aus dem Bereich einer Black-Box herauszuholen und die dem Projekt angemessene Transparenz noch mal deutlich zu erhöhen. Was darüber u.a. auch die Akzeptanz für das Projekt auf Seiten der Bürger und Fachleute deutlich verbessern und viele Entscheidungen nachvollziehbarer machen würde.

Wie unter dem städtischen Bürgerinformationssystem zu entnehmen ist, wird in den Sitzungen des Planungsausschusses regelmäßig ein „Sachstandsbericht zur Parkstadt” abgegeben.

Gemäß Sitzungskalender tagt der nächste Planungsausschuss am 09. April 2024. Wir bieten – sofern gewünscht – für Erläuterungen und Rückfragen sowie Ergänzungen zu denkbaren juristischen Auswirkungen der Finanzlage und Strategie eines Investors gerne unsere Teilnahme an.

Mülheim an der Ruhr, 26. März 2024

Ralf Harsveldt
Architekt BDABeisitzer im Beirat Parkstadt Mülheim
BDA – Bund Deutscher Architekten (MH)
Ingo Clemens
Architekt AKNWBeisitzer im Beirat Parkstadt Mülheim
KMA – Kreis Mülheimer Architekten

Die Zahl der Bedenkenträger gegen dieses Projekt wird stetig größer.
Noch besteht die Möglichkeit und die Hoffnung, das  die Verantwortlichen der Stadt und des Investors diese berechtigten Bedenken in eine Win-Win Situation umwandeln können.

In einem Leserbrief in der WAZ vom 20.03.24 hat der engagierte Bürger Dr. Bernhard Leidinger dazu bereits den folgenden Vorschlag gemacht:

Sollte nicht die Stadt bei der Parkstadt Soravia entgegenkommen und die Bauhöhen für die beabsichtigten Hochhäuser auf acht Geschosse reduzieren, damit Soravia gesichtswahrend ein finanziell realisierbares für die Nachbarschaft angemessenes Projekt durchführen kann?