Für eine zukunftsweisende Bebauung des ehemaligen Tengelmann-Geländes

Drängende Fragen zur „Planungsvereinbarung“ zwischen Stadt Mülheim an der Ruhr und Investor Soravia

Das Netzwerk „Parkstadt Mülheim… aber richtig!“ hat heute das nachfolgende Schreiben per Mail an die Mülheimer Politikerinnen und Politiker gesendet, mit der dringenden Bitte, in Sachen „Planungsvereinbarung“ zwischen der Stadt Mülheim an der Ruhr und dem Investor Soravia in Bezug auf das ehemalige Tengelmann-Gelände für Transparenz zu sorgen.

 

An die Fraktionen bzw. Gruppen im Rat der Stadt Mülheim an der Ruhr von CDU, Bündnis 90 / Die Grünen, SPD, AfD, MBI, FDP, Die Partei, Wir aus Mülheim, Bürgerlicher Aufbruch Mülheim, Die Linke

 

Betr.: „Planungsvereinbarung“ zwischen Stadt Mülheim an der Ruhr und Investor Soravia bezüglich des Projektes „Parkstadt Mülheim“ / Dringender Klärungsbedarf

Sehr geehrte Damen und Herren,

auf mehrfache Nachfrage des Netzwerkes „Parkstadt Mülheim… aber richtig!“ bei der Stadt Mülheim an der Ruhr hat diese auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes die bereits 2022 getroffene „Planungsvereinbarung“ (siehe Anlage) zum Bebauungsplan „Parkstadt Mülheim Y 13“ nunmehr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Sie ist jetzt einsehbar unter der URL:
https://geo.muelheim-ruhr.de/bebauungsplan/aktuell/parkstadt_muelheim_/1092404

Es handelt sich bei diesem als „Planungsvereinbarung“ bezeichneten Papier um einen städtebaulichen Vertrag mit dem Projektentwickler Soravia. Das Netzwerk „Parkstadt Mülheim… aber richtig!“ fragt sich nach eingehender Lektüre dieses Vertragstextes, ob die Stadt Mülheim ihrer Verpflichtung, zum Wohl ihrer Bürgerinnen und Bürger zu handeln, nachgekommen ist.

Aus tiefer Besorgnis, dass bei einem bisher für die Öffentlichkeit so intransparenten Vorgehen der Stadt in den kommenden Monaten Baurecht geschaffen werden soll, welches dem Investor weitreichende langjährige Möglichkeiten der Gestaltung des ehemaligen Tengelmann-Geländes einräumen würde, bitten wir Sie dringend, auf den Ihnen zur Verfügung stehenden politischen Ebenen und insbesondere im Rat der Stadt Mülheim an der Ruhr und in dessen Ausschüssen für Klarheit und für die Beantwortung zahlreicher Fragen zu sorgen.

Im Einzelnen stellen sich angesichts des „Planungsvereinbarung“ genannten städtebaulichen Vertrages u.a. folgende Fragen und Fragenkomplexe:

I. Wer ist auf Seiten des Investors konkret Vertragspartner?

Im Hinblick auf die aktuellen Erfahrungen vieler großer Städte mit der österreichischen Signa-Unternehmensgruppe von René Benko ist die Frage, mit wem die Stadt Mülheim an der Ruhr welche Vereinbarungen trifft, seitens der Stadtgesellschaft mehr als berechtigt.

Als Vertragspartner der Stadt werden in der „Planungsvereinbarung“ drei Gesellschaften mit beschränkter Haftung genannt: Der „Projektentwickler“ besteht aus den GmbHs W. Campus Quartiersentwicklung Grundstücks GmbH, W. Campus VG Immobilien GmbH und MH Speldorf Vermietungs GmbH. Sie alle werden durch nur zwei natürliche Personen vertreten.

Den Aufwand eines Bebauungsplanverfahrens sollte die Stadt nur auf sich nehmen, wenn der Projektentwickler seine verbindliche Verfügungsgewalt nachgewiesen und belegt hat, ferner dass er rechtlich und finanziell bereit und in der Lage ist, das Projekt über die Realisierungszeit hin umzusetzen.

  1. Wie wurde der Stadt gegenüber der Nachweis geführt, dass „der Projektentwickler“  – insbesondere bezogen auf die Haftungsbeschränkungen der GmbHs – rechtlich und finanziell bereit und in der Lage ist, das Gesamtprojekt zu realisieren?
  2. Wurde geprüft, wie die Gesellschaften untereinander zueinanderstehen und welche möglichen Auswirkungen dies auf das Vertragsverhältnis hat?
  3. Die Baukosten für die sogenannte „Parkstadt Mülheim“ werden auf mehrere hundert Millionen Euro beziffert; die Rede ist vielfach von mindestens 350 Mio. Euro. Wie können dann drei GmbHs, die jeweils über einen Kapitalstock von 25.000 Euro verfügen, von der Stadt Mülheim als „Vertragspartner“ und „Projektentwickler“ akzeptiert werden?
  4. Wie hoch wird seitens des Mülheimer Rechtsamtes das Risiko für unsere Stadt eingeschätzt – ähnlich den aktuellen Erfahrungen in vielen anderen Städten – auf den  Umsetzungskosten i.S. §9 der „Planungsvereinbarung“ sitzen zu bleiben?
II. Welche Auswirkungen hat die „Parkstadt Mülheim“ auf die städtischen Finanzen?

Durch den Bebauungsplan „Parkstadt Mülheim Y 13“ fallen den Eigentümern erhebliche projektbezogene Mehrwerte zu. Daher ist es selbstverständlich, dass der „Projektentwickler“ alle möglichen Kosten zu tragen hat.

  1. Diese beginnen mit der Verwaltungskostenpauschale, die gemäß § 6 der Planungsvereinbarung 25.000 Euro betragen soll. Eine Herleitung dieses Betrages ist über die benannte Verwaltungsgebührensatzung (siehe Anlage) nicht möglich. Für einen vorhaben bezogenen Bebauungsplan wären dem Vorhabensträger gemäß Position 26 mindestens 35.000 Euro auferlegt worden. Zusätzlich die Kostenpauschale Position 27 für die Änderung des RFNP. Es ist nicht plausibel, warum hier die Stadt nicht nach Position 28 die tatsächlichen Aufwendungen in Ansatz bringt. Dies wäre eine angemessene Lastenverteilung.
  2. Warum wurde das ÖPNV-Gutachten nicht ebenfalls von dem Projektentwickler bezahlt?

Die Planungsvereinbarung soll dazu dienen, „die von den Vertragspartnern bei der Entwicklung dieses Areals sowie der Durchführung des Aufstellungsverfahrens für den Bebauungsplan zu erbringenden Leistungen sowie die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten zu benennen (§ 1 Abs. 1). Erfüllt das vorliegende Papier so diesen Anspruch?

  1. Was passiert mit den städtischen Flächen, die zukünftig nicht mehr für die Erschließung benötigt werden? Zu welchem Preis gehen diese an den „Projektentwickler“ über?
  2. Zu welchen Konditionen werden notwendige Straßenlandabtretungen vom Projektentwickler an die Stadt übertragen?
  3. Wie passen die Vereinbarung in § 9, wonach der Projektentwickler die Kosten zu tragen hat, die der Stadt für Maßnahmen entstehen, die Voraussetzung oder Folge des geplanten Vorhabens sind, mit der Formulierung in der Präambel “die Interessen beider Seiten berücksichtigenden Regelung zur Kosten- und Risikotragung” überein? Eine Anfrage unseres Netzwerkes aus 11/2023 nach den für die Parkstadt direkt oder indirekt im Haushalt 2024 eingestellten Kosten ist weiterhin unbeantwortet.
III. Wird die Stadt Mülheim an der Ruhr ihren hoheitlichen Aufgaben als Herrin des Verfahrens bei der Erstellung der Bauleitpläne gerecht?

Im Rahmen der frühzeitigen Bürgerbeteiligung haben sich mehrere Tausend Mülheimer Bürger beteiligt. Nun soll gemäß § 2 die „Auswertung der Ergebnisse der […] Beteiligung der Öffentlichkeit […] und Vorbereitung eines entsprechenden Abwägungsvorschlags“ Aufgabe des Projektentwicklers sein.

Die Stadt Mülheim an der Ruhr verzichtet in dieser Vereinbarung darauf, Leitlinien und Vorgaben für die Nutzung des ehemaligen Tengelmann Areals zu machen, welche auch und vor allem die umgebenden historisch gewachsenen Stadtteile Broich und Speldorf, ihre Bürgerinnen und Bürger, deren Lebensqualität und deren Immobilienwerte berücksichtigen. Dies zugunsten einer „kompakte(n) Bebauung mit einer flächensparenden Städtebau- und Nutzungsstruktur“ auf dem ehemaligen Tengelmann-Gelände, wie es in der Präambel heißt.

Wem also dient dieser Vertrag – der Stadt oder dem Investor?

Diese Fragen stellen sich umso dringlicher angesichts jüngster Medienberichte über finanzielle Probleme bei der dem Investor vorgeschalteten Unternehmensgruppe, der ONE GROUP, welche der Finanzierung solcher Projekte dient.

Ein Megaprojekt wie die sogenannte Parkstadt Mülheim, welches in seiner jetzigen Planung über mindestens zehn Jahre Bauzeit veranschlagt ist, erfordert höchste Transparenz,  insbesondere gegenüber der Stadtgesellschaft, welche letztlich nicht nur soziale und infrastrukturelle Auswirkungen zu ertragen hat, sondern schlimmstenfalls auch finanzielle Konsequenzen auszubaden hätte.

Wir bitten Sie deshalb dringend, sehr geehrte Damen und Herren, zur Klärung dieser Fragen im Rahmen ihrer politischen Möglichkeiten beizutragen.

Mit freundlichen Grüßen

i.A. des Netzwerkes „Parkstadt Mülheim… aber richtig!“
gez.
Joachim Mahrholdt / Reiner Geßwein / Michael Taube

Anlagen
Planungsvereinbarung_Y 13_Scan
Verwaltungsgebührensatzung der Stadt Mülheim an der Ruhr_13_01_2021

P.S.: Dieses Schreiben erhielten in Kopie die o.g. politischen Parteien bzw. Gruppierungen, die Stadtverwaltung Mülheim an der Ruhr sowie lokale und überregionale Medien. Bürgerinnen und Bürgern steht es u.a. auf der Website des Netzwerkes „Parkstadt Mülheim… aber richtig!“ zur Verfügung.

1 Kommentar

  1. Otto Rosenbaum

    Baugesetzbuch BauGB – Bauleitplan Y13 Parkstadt Mülheim

    Vierter Abschnitt
     
    Zusammenarbeit mit Privaten; vereinfachtes Verfahren
     
     
    § 11 Städtebaulicher Vertrag
     
     
    § 12 Vorhaben- und Erschließungsplan
     
     
    § 13 Vereinfachtes Verfahren
     
     
    § 13a Bebauungspläne der Innenentwicklung

     
    Zitate aus Öffentliches Baurecht 4. Auflage von Verlag C.H.Beck Seite 140 §5 Randnummer 271 Gemeindliche Bauleitplanung – ISBN 978 3 406591631:

    „Der Gesetzgeber sieht das vereinfache Verfahren als Ausnahmevorschrift für Fälle, in denen bei einer Bauleitplanung offensichtlich keine Umweltauswirkungen zu besorgen sind. Wenn und soweit eine Umweltprüfung notwendig ist, scheidet das vereinfachte Verfahren aus.“

    Auf Seite 141 Randnummer 274:
    „In allen Fallkonstellationen kommt eine vereinfachtes Verfahren nur in Betracht, wenn keine Umweltrelevanz besteht.“

    Anmerkung:
    Baugesetzbuch §1
    (6) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind insbesondere zu berücksichtigen:
    7.die Belange des Umweltschutzes, einschließlich des Naturschutzes und der
    Landschaftspflege, insbesondere
    a)die Auswirkungen auf Tiere, Pflanzen, Fläche, Boden, Wasser, Luft, Klima und das
    Wirkungsgefüge zwischen ihnen sowie die Landschaft und die biologische Vielfalt,
    d) umweltbezogene Auswirkungen auf Kulturgüter und sonstige Sachgüter.

    Umweltrelevanz hat auch BauGB § 1a Ergänzende Vorschriften zum Umweltschutz.

    Fazit:
    somit dürfte die Bauleitplanung nach dem vereinfachten Verfahren nicht zulässig sein,. Sondern nach:
    Allgemeines Städtebaurecht

    Erster Teil
     
    Bauleitplanung
    Erster Abschnitt
     
    Allgemeine Vorschriften
     
     
    § 1 Aufgabe, Begriff und Grundsätze der Bauleitplanung
     
     
    § 1a Ergänzende Vorschriften zum Umweltschutz
     
     
    § 2 Aufstellung der Bauleitpläne
     
     
    § 2a Begründung zum Bauleitplanentwurf, Umweltbericht
     
     
    § 3 Beteiligung der Öffentlichkeit
     
     
    § 4 Beteiligung der Behörden
     
     
    § 4a Gemeinsame Vorschriften zur Beteiligung
     
     
    § 4b Einschaltung eines Dritten
     
     
    § 4c Überwachung

     
     

Kommentar verfassen